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„Liebe ist für alle da“

Ein Weihnachtsgruß von Holger Müller-Brandes

Dass Weihnachten das „Fest der Liebe“ sei, haben wir bestimmt schon einmal irgendwo gehört. Dabei handelt es sich um einen schönen Untertitel für eines der schönsten Feste der Christenheit, selbst wenn wir an das Christkind, so wie auch an den Weihnachtsmann, nicht mehr so recht glauben wollen. Wenn ich das Wort von der „Liebe“ höre, so scheint es mir jedoch zu den Begriffen zu zählen, unter denen jeder etwas sehr Verschiedenes verstehen kann. Tragisch ist es, wenn Paare, die sich einmal sehr geliebt haben, mit der Zeit erkennen müssen, dass sie sich unter der Liebe im Grunde ganz Anderes, vielleicht sogar Gegensätzliches vorstellen. So heilig, wie die Liebe zu allen Zeiten und in allen Kulturen war, so diffus kann sie gleichzeitig werden, wenn man ihren Inhalt für alle Menschen verbindlich erklären wollte. 

In der Weihnachtsgeschichte der Bibel kommt das Wort Liebe gar nicht vor. Von der Freude ist die Rede und vom Frieden auf Erden. Sich nicht zu fürchten, singen die Engel und dass Gott in der Höhe die Ehre gebühre. Anlass für solche himmlischen Jubel- und Lobgesänge ist ein Neugeborenes, das in seinen Windeln in Bethlehem hinter einer Stalltür in einer Futterkrippe liegt. Dass es ein Heiland sein soll, ist ihm äußerlich nicht anzusehen und das kleine Baby wird sich dessen am wenigsten bewusst sein. Woran die Hirten es erkennen, dass die Engel ihnen kein frommes Märchen aufgetischt haben, bleibt völlig offen. Gleichwohl brechen sie vom Stall aus auf und erzählen es allen, dass sie etwas Wunderbares erlebt haben. Ihr Herz fließt förmlich über, so erfüllt und so aufgeregt sind sie von diesem Erlebnis.

So und nicht anders verhält es sich auch, wenn Menschen verliebt sind. Sie haben Schmetterlinge im Bauch, ihre Realitätswahrnehmung ist verschoben und sie lächeln zu unpassenden Gelegenheiten. Ihre Umwelt reagiert zumeist rücksichtsvoll, aber nimmt sie erstmal wenig ernst. Was Liebe ist, lässt sich nicht definieren, aber wenn sie uns einmal ergreift, dann wissen wir es doch präzis. Wir können sie nicht herstellen, nicht produzieren und zu ihrem Gelingen nur wenig beitragen. Wir können sie aber empfangen, trotz allen Wollens und Wünschens nur unerwartet, sie ist ein überraschendes Geschenk, eine Gabe, eine Gnade vielleicht. Schlimm, wem sie nicht vergönnt ist, er „stehle weinend sich aus diesem Bund“ dichtete Schiller und mir laufen regelmäßig Tränen, wenn ich seine unbarmherzige Zeile lese. 

Was die Hirten vom Kinde in der Krippe zu berichten haben, gilt allen - die in der Liebe Glück haben, und die sich mit der Liebe schwer tun. Diese lebenserfahrenen, vielleicht vom Leben gezeichneten Männer erkennen plötzlich, was es mit der Liebe auf sich hat. Ins Gesicht des Kindes haben sie wie in einen Spiegel geschaut und der Blick eines kleinsten Menschleins und des höchsten Wesens zugleich hat sie getroffen. Da hebt sich ein Schleier von ihren Augen und sie sehen völlig klar - wir sind es selbst, die lieben können.